Als Lord Robert Stephanson Smyth Baden Powel of Gillwel, kurz BiPi genannt, die Pfadfinderbewegung gründete, hätte er sich wohl nie träumen lassen, dass aus seinem Traum einst die grösste Jugendbewegung der Welt entstehen sollte und wie viele Mitglieder sie einst haben wird. Im folgenden soll nun von BiPi's Leben und der Gründung der Pfadfinderbewegung berichtet werden:
Am 22. Februar 1857 wurde Robert Stephenson Smyth Baden-Powell in London, als 12tes von 14 Kindern geboren. Seinen Ideenreichtum und Mut hatte er von seinen Vorfahren geerbt. Dies waren Kapitäne, Seeräuber, Forscher und sogar ein Admiral. Schon als junges Kind streifte er gerne durch die Natur rund um das damalige London. Er baute mit seinen Brüdern Schiffe, Hütten und Zelte, beobachtete die Wildtiere und erlernte das Schwimmen. Auch später auf dem College von Charterhouse war er viel öfter im Park und im Wald anzutreffen als in den Griechisch- und Lateinstunden. So hiess es auch meist in seinen Zeugnissen: "Leistung genügend, könnte aber besser sein...". Aber, überalll wo es galt, etwas in Bewegung zu bringen, trat er hervor. Er machte Musik (Geige und Horn), war einer der besten Waldläufer und seine Fähigkeiten, jemanden zu parodieren, war bei allen Lehrern gefürchtet.
topMit 19 Jahren verlies BiPi das College und ging zur Britischen Kavallerie. Diese sandte ihn sogleich in die damals englische Kolonie Indien. In der abgelegenen indischen Garnison tat sich BiPi als ausgezeichneter Spurenleser hervor und beobachtete das Geschehen mit wachen Augen. Auch als Unterhalter war er sehr gern gesehen. Er organisierte Theaterspiele und Konzerte. Später schickte ihn der englische Geheimdienst als Spion in die verschiedensten Länder Europas, wo ihm seine Talente, sich zu verkleiden und in andere Rollen zu schlüpfen, sehr zu gute kamen. Oft tarnte er sich als Schmetterlingsjäger oder Pflanzensammler.
1899 erschien Baden-Powells erstes Buch "Aids For Scouting". Er empfahl es dem englischen Generalstab als allgemeine Ausbildungslektüre. Im selben Jahr wurde Baden-Powell nach Afrika versetzt. Er sollte dort, in Mafeking, einer kleinen Frontstadt, britische Soldaten für den Dschungelkampf ausbilden. Am 11. Oktober 1899 wurde die kleine Stadt von 9000 Buren umzingelt.
In Mafeking selber befanden sich ausser Frauen, Kindern und Jugendlichen nur 700 ausgebildete Soldaten und etwa 300 Zivilisten (meist ältere Männer). Baden-Powell war entschlossen, die Stadt zu verteidigen. Er verteidigte die Stadt nicht mit Gewalt sondern mit List, indem er den Buren eine viel grössere Anzahl Soldaten und Munition vortäuschte. Die Buren wagten nicht, anzugreifen. Im Mai 1900 wurde Mafeking befreit. Baden-Powell war es gelungen, die Stadt 217 Tage zu verteidigen. Damit die Soldaten für den Ernstfall immer bereit waren, überliess er den Jungen aus der Stadt leichtere militärische Aufgaben.
Sie konnten als Sanitäter, als Meldegänger und als Späher eingesetzt werden. Dabei stellte Baden-Powell zu seiner Verblüffung fest, dass auch die Jungen Verantwortung übernehmen konnten, wenn man ihnen nur das nötige Vertrauen entgegenbrachte.Diese Erkenntnis war damals revolutionär, da die Pädagogen zu dieser Zeit den Jugendlichen noch kein Vertrauen entgegenbrachten. Man glaubte, dass man die Jungen und Mädchen nur unter sehr strengen Bedingungen erziehen könne. Dass heutzutage die Lehrer die Jugendlichen als ernst zu nehmende Partner behandeln, ist nicht zuletzt Baden-Powells Erkenntnis zu verdanken.
topNach diesem Krieg wurde Baden-Powell nach England zurückbeordert. Er wurde zum General befördert und mit dem Kreuz des Bath-Ordens ausgezeichnet. Schon bei seiner Ankunft stellte er fassungslos fest, dass er ein Held geworden war. Die englischen Zeitungen hatten von der Belagerung Mafekings berichtet. Ganz England hatte den spannenden Kampf um Mafeking verfolgt. Besonders die Jungen waren begeistert von Baden-Powell. Sein Buch "Aids For Scouting" war ein Jugendbuch-Bestseller geworden. Baden-Powell war gar nicht glücklich darüber, denn es war ein militärisches Buch. Als Mann, der den Frieden liebte, wollte er nicht, dass ein derartiges Buch in die Hände der Jungen kam. Die Entwicklung war jedoch nicht mehr rückgängig zu machen, da beschloss Baden-Powell ein zweites Buch zu schreiben. Dieses Buch wollte er «Scouting For Boys» nennen. Baden-Powell las ein Buch seines Freundes Rudyard Kipling. Das Buch hiess "Kim". Er war von diesem Buch tief beeindruckt, denn es bestätigte seine Erkenntnisse aus Mafeking. Er erkannte auch, dass sich nützliche Fähigkeiten am besten durch Spiel schulen liessen. Er nahm sich vor, sinnvoll gestaltete Spiele in sein geplantes Buch "Scouting For Boys" einzubeziehen. Wieder wurde Baden-Powell nach Afrika geschickt, diesmal um die südafrikanische Schutzpolizei auszubilden. Die berittenen Polizisten trugen einen breitrandigen Hut, ein Halstuch und ein Khakihemd - die spätere Tracht der Pfadfinder. 1903 wurde er in England zum Generalinspekteur ernannt. Er erhielt den Befehl, die Kavallerie neu zu organisieren. Diese Aufgabe beanspruchte ihn sehr lange, und erst als die Kavallerie seinen Vorstellungen entsprach, konnte er sich wieder seinem bevorzugten Thema, der Jugenderziehung, zuwenden.
topAls er nach London zurückkehrte, bemerkte BiPi, dass sein Buch "Aid for Scouting" ("Hilfe zum Spurenlesen"), welches er vier Jahre zuvor für die Kundschafter der Armee geschrieben hatte, von Kindern und Jugendlichen sehr viel gelesen wurde. Sie lernten anhand dieses Buches, wie man sich in der Natur zurechtfinden und dabei Abenteuer erleben konnte. Wenig später nahm BiPi am Treffen einer Jugendorganisation mit dem Namen "Boys Brigade" teil. Doch er war sehr unzufrieden, denn ihm, dem General, war diese Organisation zu militärisch! So kam BiPi allmählich auf die Idee, eine eigene Jugendbewegung ins Leben zu rufen und im Sommer 1907 war es dann endlich soweit - BiPi wollte seine Pfadfinderidee, bevor er diese gross veröffentlichte, selber testen.
Mit 22 Buben aus allen Befölkerungsschichten begab er sich auf die Insel Brownsea an der englischen Südküste, wo er das erste Lager durchführte. Die Teilnehmer trugen eine einheitliche Uniform, um die sozialen Unterschiede nicht erkennbar werden zu lassen. Für die Jugendlichen war dies ein riesiges Erlebnis. Ein Lager zusammen mit dem Helden von Mafeking! Ansonsten war es ein Lager, wie sie noch heute von den Pfadfindern durchführt werden. Es wurde ein voller Erfolg, und von da an war die stürmische Entwicklung der Pfadfinderbewegung nicht mehr aufzuhalten.
Die meisten Engländer zeigten sich begeistert von Baden-Powells neuer Form der Jugenderziehung. Unter den Anhängern war auch der Londoner Verleger Pearson. Dieser wollte eine Jugendzeitung mit dem Namen «The Scout» gründen, wenn sich Baden-Powell verpflichtete, dafür Artikel zu schreiben.
In seinem fünfzigsten Lebensjahr wurde der General zum Jugendführer!
topIn der Windmühle von Wimbledon verwirklichte er endlich seinen Plan und schrieb das Buch "Scouting for Boys". Es erschien als Serie, Kapitel für Kapitel, in der Zeitung «The Scout». Später wurde es, in viele Sprachen übersetzt, zum grössten pädagogischen Werk unseres Jahrhunderts.
Wieso kam es zu diesem Erfolg? Scouting for Boys war keine der üblichen schwerverständlichen Abhandlungen eines Pädagogen. Es war ein einfaches Buch, es war eine Erzählung, eine Plauderei am Lagerfeuer, behaglich und spannend erzählt. Baden-Powell erzählte von seinen Abenteuern in der Steppe und im Dschungel. Man erfuhr, wie man ein Feuer ohne Streichhölzer macht, wie man Entfernungen schätzt, Fährten von Tieren und Menschen deutet und verfolgt, Knoten bindet, wie man die Himmelsrichtungen ohne Kompass ermittelt und Erste Hilfe leistet. Er empfahl den Jungen, sich in kleinen Gruppen zusammen zu tun, täglich eine gute Tat zu leisten und immer hilfsbereit zu sein.
Viele Kritiker fragen sich, was das alles mit Pädagogik zu tun habe. Baden-Powell schrieb wirklich nicht viel über psychologische Persönlichkeitsentwicklung, Motivationssteuerung und ähnliche Schlagworte. Er gab den Jungen Tipps, wie sie spielerisch, ohne es zu merken, diese Ziele erreichten.
"Scouting for Boys" erschien 1908 und verhalf der Pfadfinderbewegung zum Durchbruch. Noch heute dient es als Anleitung für die "Pfadfinderei". Dieses Buch wurde in beinahe alle Sprachen übersetzt und überall auf der Erde bildeten sich darauf Jugendorganisationen: Die Pfadibewegung entstand. Sie entwickelte sich zur nun grössten Jugendorganisation der Welt. Heute gibt es weltweit bereits über 30 Millionen Pfadfinderinnen und Pfadfinder. Auch viele Berühmtheiten wie beispielsweise der deutsche Showmaster Thomas Gottschalk oder der erste Mensch auf dem Mond, Niel Armstrong, der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy sowie beinahe alle anderen amerikanischen Präsidenten waren oder sind immer noch Mitglieder dieser einzigartigen Jugendbewegung.
topSpäter befassten sich Universitätsprofessoren, Pädagogen und Psychologen mit Baden-Powells Buch und haben den tieferen Sinn herausgefunden: Wer beispielsweise als Jugendlicher ohne Kompass wandert und ständig auf alle natürlichen Anzeichen der Orientierung achten muss, der wird sicherlich auch als Erwachsener, in seinem beruflichen und privaten Leben die richtige Linie wählen, und nicht auf Abwege geraten. Wer als Jugendlicher bei den Pfadfindern gelernt hat, Entfernungen zu messen, um zu wissen, ob er mit seinen Kräften das Ziel einer Wanderung in einer Etappe erreichen kann, der wird später auch das Ziel einer beruflichen Aufgabe gut einschätzen können.
Auf einer Urlaubsreise nach Südamerika im Jahre 1909 wurde Baden-Powell zu seinem Erstaunen von einer Gruppe Pfadfinder empfangen. Die Jungen trugen Khakihemden, ein Halstuch und einen breitrandigen Hut. Sie erklärten Baden-Powell, dass sie sich die Zeitschrift "The Scout" über den Ozean hatten schicken lassen. Er nahm ihnen das Pfadfinderversprechen ab und erklärte diese Gruppe zur ersten ausländischen Pfadfinderorganisation.
Baden-Powell erkannte, dass er mit der Pfadfinderorganisation voll ins Schwarze getroffen hatte. Er wollte eine Bruderschaft gründen, eine Bruderschaft für friedliche Zwecke und ohne Trennung nach Gesellschaftsklasse, Rasse, Nationalität oder Religionsgemeinschaft.
BiPi selbst widmete den Rest seines Lebens voll und ganz der Pfadfinderbewegung. 1909 veranstaltete er im Londoner Kristallpalast ein Pfadfindertreffen mit 11'000 Teilnehmern. Bei diesem Treffen wurde BiPi durch die Anwesenheit einer Truppe weiblicher Pfadfinder überrascht. Dies brachte ihn auf die Idee, das Buch "Pfadfinder" in Bezug auf Mädchen zu erweitern. 1916 rief BiPi die Wolfsstufe (1.Stufe) ins Leben und seine Frau, Lady Olave St. Claire Soames, die er im Jahre 1912 heiratete, nahm sich der Leitung der Pfadfinderinnen an. 1914 brach der erste Weltkrieg aus. Erstaunlicherweise förderte dies die Entwicklung des Pfadfindertums zusätzlich.
Kurz nach dem Ende des Kriges regte BiPi die Durchführung grosser, internationaler Lager, die "Jamborees" an. Das erste fand im Jahre 1920 im Londoner Olympiastadion statt und vereinigte 8000 Pfadfinder aus 27 Ländern. Die Jamborees förderten aktiv die Pflege von Freundschaften über alle Grenzen von Rassen, Nationen und Herkünfte hinaus. Ausser in der Zeit des zweiten Weltkrieges und 1979, aufgrund innerpolitischen Unruhen im damaligen Gastland Iran, wurden die Jamborees bis heute regelmässig alle vier Jahre durchgeführt. Zu den Zeiten der faschistischen Diktaturen in Europa (Deutschland, Italien, Österreich) und in Asien (Japan) wurde die Pfadfinderbewegung in diesen Ländern verboten und ihre Mitglieder verfolgt. Als nach dem zweiten Weltkrieg wieder demokratische Regierungen an die Macht kamen, erlebte die Pfadibewegung in diesen Ländern einen enormen Aufschwung. Auch in der Sowjetunion verbot man die Pfadfinderei nach der russischen Revolution und erst nach dem Zerfall des Ostblockes begannen die Pfadfindergruppen in den ehemaligen Ostblockländern wieder Fuss zu fassen.
topTrotz seines zunehmenden Alters reiste BiPi noch lange mit seiner Gattin in alle Teile der Welt um die Entwicklung der Pfadi zu fördern. 1912 wurde BiPi annlässlich des ersten "World-Jamboree" in London zum "Chief scout of the world", das heisst Weltführer der Pfadibewegung, ernannt. 1929 wurde BiPi vom englischen König zum Lord ernannt und fortan hiess BiPi Lord Robert Stephenson Smyth Baden-Powel of Gilwell. Ein Jahr später wurde Lady Olave Baden-Powell zur "Chief Guide of the World" ernannt.
Baden-Powell verabschiedete sich offiziell vom aktiven Pfadfinderleben im Jamboree in Holland, 1937: "Es ist Zeit für mich, dass ich euch good-bye sage. Ich bin in meinem einundachtzigsten Lebensjahr und nähere mich dem Lebensende. Die meisten von euch aber sind am Beginn des Lebens". Danach zog er sich in sein Haus, in der Nähe von Nyeri, im ostafrikanischen Kenia, zurück.
Am 8. Januar 1941 starb Baden-Powell. Er wurde auf dem Friedhof von Nyeri beerdigt. Auf dem Grabstein befindet sich ein Kreis mit einem Punkt darin. Es ist ein internationales Pfadfinderzeichen und es heisst: "Ich habe meinen Auftrag erfüllt und bin nach Hause gegangen". Seine letzte Botschaft an alle Pfadfinder lautete:
"Das Einzige, was im Leben zählt, ist anderen etwas Glück zu bereiten!"
Gerichtet an alle Pfadfinder und Pfadfinderinnen auf der ganzen Welt:
"Liebe Pfadfinder!
Im Theaterstück "Peter Pan", das Ihr vielleicht kennt, ist der Piratenhäuptling stets dabei, seine Totenrede abzufassen, aus Furcht, er könnte, wenn seine Totenstunde käme, dazu keine Zeit mehr finden. Mir geht es ganz ähnlich. Ich liege zwar noch nicht im Sterben, aber der Tag ist nicht mehr fern. Darum möchte ich noch ein Abschiedswort an Euch richten. Denkt daran, dass es meine letzte Botschaft an Euch ist, und beherzigt sie wohl. Mein Leben war glücklich und ich möchte nur wünschen, dass jeder von Euch ebenso glücklich lebt. Ich glaube, Gott hat uns in diese Welt gestellt, um darin glücklich zu sein und uns des Lebens zu freuen. Das Glück ist nicht die Folge von Reichtum oder Erfolg im Beruf und noch weniger von Nachsicht gegen sich selbst. Ein wichtiger Schritt zum Glück besteht darin, dass Ihr Euch nützlich erweist und des Lebens froh werdet, wenn Ihr einmal Männer/Frauen werdet. Das Studium der Natur wird Euch all die Schönheiten und Wunder zeigen, mit denen Gott die Welt ausgestattet hat, Euch zur Freude. Seid zufrieden mit dem, was Euch gegeben ist, und macht davon den bestmöglichen Gebrauch. Trachtet danach, jeder Sache eine gute Seite abzugewinnen. Das eigentliche Glück aber findet Ihr darin, dass Ihr andere glücklich macht. Versucht, die Welt ein bischen besser zurückzulassen, als Ihr sie angetroffen habt. Wenn euer Leben zu Ende geht, mögt Ihr ruhig sterben im Bewusstsein, Eure Zeit nicht vergeudet, sondern immer Euer Bestes getan zu haben. Seid in diesem Sinn "Allzeit bereit", um glücklich zu leben und glücklich zu sterben. - Haltet Euch immer an das Pfadfinderversprechen, auch dann, wenn Ihr keine Kinder mehr seid. Euer Freund"
© pulacha.ch, 2012